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Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini halten die Proteste im Iran an, wie hier an der Amir Kabir University in der Hauptstadt Teheran (Foto). CAZ-Autorin Eva-Sophie Roth mit Stephanie Walter von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes gesprochen, wie die Situation im Land aussieht und was wir als Studierende tun können.

Bilder von Frauen, welche sich wütend und schreiend die Haare abschneiden, auf offener Straße. Elnaz Rekabi, eine iranische Kletterin, die ohne Kopftuch einen Wettkampf bestreitet. All das sind Zeichen des Protestes gegen die iranische Regierung und die Verletzung der Menschenrechte im Iran. 

Was war der Auslöser für die Proteste im Iran?

Der Auslöser für die steigende Zahl der Proteste war der ungeklärte Tod der Iranerin Mahsa Amini. Sie verstarb am 16. September 2022 im Alter von 22 Jahren, während sie sich im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei befand. Die Sittenpolizei im Iran kontrolliert die Einhaltung der islamischen Gesetze und begründet das mit den Regeln der Scharia. Dazu gehören unter anderem Verhalten und Kleidung, bezogen beispielsweise auf das richtige Tragen des Hijabs, wie im Falle von Masha Amini. 

Der ungeklärte Tod von Masha Amini brachte das Land also in eine Ausnahmesituation und befeuerte eine noch größere Welle an Protesten gegen das sogenannte Mullahregime. Ein Mullah ist ein islamischer Gelehrter. Daher kommt auch der Begriff Mullahregime. Im Iran ist der oberste Religionsführer auch gleichzeitig der Mann mit dem höchsten Staatsamt der islamischen Republik.

Die iranische Regierung versucht, durch aktive Zensur des Internets die Lage im Land zu kontrollieren, um nicht die Aufmerksamkeit der anderen Länder auf sich zu ziehen und den Regimegegnern nicht die Möglichkeit zu geben, sich untereinander zu informieren und zu motivieren. Trotz der Zensur seitens der iranischen Regierung gelangen Informationen nach außen und viele Länder haben schon mit Sanktionen gedroht und diese umgesetzt. So hat die EU und damit auch Deutschland mit aktiven Sanktionen auf die Menschenrechtsverletzung im Iran reagiert.

Was können wir als Studierende in Deutschland tun?

Wir hier in Deutschland bekommen oft nur schemenhaft die aktuelle Situation mit. CAZ hat Stephanie Walter, zuständige Referentin für Gleichberechtigung und Integration bei Terre des Femmes, gefragt, wie wir uns verhalten können. Die 1981 gegründeten Frauenrechtsorganisation klärt über Frauenrechte überall auf der Welt auf und setzt sich für diese ein.   

CAZ: Welche konkreten Frauenrechtseinschränkungen gibt es derzeit im Iran?

Stephanie Walter: Die Liste der Aufzählungen an Frauenrechtseinschränkungen ist lang und liegt in der Auslegung der Scharia, dem islamischen Rechtssystem, begründet. Sie ist nicht nur Grundlage des Rechts, sondern regelt auch das alltägliche Leben, beispielsweise Ehe, Scheidung, Erbrecht und Verhütung. Frauen können für einen angeblichen Ehebruch gesteinigt werden. Zeigen Mädchen und Frauen eine Vergewaltigung bei der Polizei an, riskieren sie auch, strafrechtlich verfolgt und gar gesteinigt zu werden, weil ihnen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe vorgeworfen werden kann. Der Iran vollstreckt Todesurteile und hat, laut Amnesty International, von Januar bis Juni 2022 schon 251 Todesurteile vollstreckt. Die Todesstrafe für Homosexualität oder die Abkehr vom islamischen Glauben sind nicht mit internationalen Frauen- und Menschenrechten vereinbar. Im Sommer 2002 sind die zwei bekannten LGBTQI-AktivistInnen Zahra Sedighi und Elham Choubdar zum Tode verurteilt wurden.

Speziell das Justizsystem zeigt die strukturelle Diskriminierung und system-inhärente Unterdrückung auf: Vor Gericht ist eine Aussage einer Frau nur halb so viel Wert wie die eines Mannes. Frauen dürfen selbst nicht Richterinnen werden. Das Ehe- und Familienrecht privilegiert Männer: Ein Vater darf entscheiden, ob seine Tochter studieren, arbeiten oder heiraten darf. Nach der Hochzeit entscheidet der Ehemann. In der Öffentlichkeit herrscht Verhüllungszwang für Mädchen und Frauen. Mädchen müssen beispielsweise ab 9 Jahre ein „Kinderkopftuch“ tragen, die Sittenpolizei überwacht den korrekten Sitz von Kleidung und Kopftuch. Im Iran gelten Mädchen ab 9 Jahren offiziell als volljährig und können (zwangs-)verheiratet werden. Diese Zwangsheiraten können Schulabbruch, die Arbeit im Haushalt, sexuelle Gewalt, frühe Schwangerschaft, das Ende der Kindheit bedeuten. In der Regel bleiben sie ihr ganzes Leben (ökonomisch) abhängig von ihrem „Ehemann“ und „vererben“ so Armut und geringe Bildungsmöglichkeiten an ihre Kinder. Der Tod von Jina Masha Amini, die von der Sittenpolizei verhaftet wurde und während der Haft ins Koma fiel, zeigt, wie willkürlich und brutal das Regime gegen Mädchen und Frauen vorgeht. Sie starb mutmaßlich, weil sie den Zwangs-Hijab angeblich nicht sittsam genug.  

CAZ: Ist die Stimmung gegen die Regierung erst nach dem Tod von Mahsa Amini laut geworden, oder konnte man schon davor Unruhen in der Gesellschaft feststellen?

Stephanie Walter: Es gab bereits vor dem Tod von Jina Masha Amini Proteste, die teilweise auch sehr blutig vom Unrechtsregime niedergeschlagen wurden. Schaut man nur in vergangene Jahre, gab es beispielsweise 2009 Proteste gegen die Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad, die Demonstrierenden sagten, dass die Wahl manipuliert gewesen sei und viele trugen grün, die Farbe des oppositionellen Wahllagers: Die Proteste wurden daher auch als „Grüne Bewegung“ bekannt. Die Opposition berichtet von circa 100 Toten. Ende 2017 gab es ebenfalls landesweite Proteste, Arbeitslosigkeit, Armut und fehlende soziale Gerechtigkeit waren Hauptmotive, die Jugendarbeitslosigkeit lag schätzungsweise bei 40 Prozent und führte insbesondere bei den jungen Demonstrierenden zum Mut, das Regime zu kritisieren. 2019 gab es landesweite Proteste mit ebenfalls vielen Toten, berichtet Human Rights Watch. Damals wurden etwa 1500 Menschen getötet.

CAZ: Was wollen die Menschen im Iran mit ihren Protesten erreichen?

Stephanie Walter: Sie wollen keine Reformen des Systems mehr, wie teilweise in den Jahren zuvor geäußert. Sie wollen das Mullah-System stürzen und ihre Frauen- und Menschenrechte einfordern. Sie wollen Demokratie, Gleichheit und Selbstbestimmung. Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi sagte gegenüber der Tageszeitung „taz“: „Die zentrale Parole überall im Land lautet: ‚Zan, Zendegi, Azadi.‘ Frau, Leben, Freiheit. Die Parole zeigt deutlich, was für ein System die Menschen im Iran haben wollen: Demokratie und Säkularismus, denn nur in einem solchen System können Frauen die gleichen Rechte haben. Nur in solch einem politischen System kann die genderbasierte Diskriminierung beendet werden.“ 

CAZ: Was bedeutet das für uns in Deutschland, wenn in anderen Teilen der Welt Frauen so unterdrückt und ihrer Selbstbestimmung beraubt werden?

Stephanie Walter: Frauen- und Menschenrechte sind universell. In Deutschland müssen wir immer wieder darauf hinweisen und einfordern, dass unsere deutsche und europäische sowie internationale Rechtsprechung Mädchen- und Frauenrechte stärker berücksichtigt. Beispielsweise hat sich Terre des Femmes lange dafür eingesetzt, dass geschlechtsspezifische Gründe als Verfolgung anerkannt werden, was 2005 erreicht wurde. Trotz anerkannten Fluchtgründen stehen schutzsuchende Mädchen und Frauen leider nach wie vor strukturellen Hürden gegenüber, die eine Geltendmachung ihrer Bedürfnisse und Rechte erheblich erschweren oder gar verhindern. Weibliche Genitalverstümmelung betrifft auch Mädchen und Frauen in Deutschland. In Deutschland leben aktuell schätzungsweise 103.947 betroffene Mädchen und Frauen, bis zu 17.271 Mädchen sind in Deutschland potenziell gefährdet. Diese Zahlen beweisen aufs Neue: Der Handlungsbedarf ist enorm. Diese beiden Beispiele aus unserer Arbeit verdeutlichen, dass wir auch in Deutschland hinschauen müssen, damit alle Mädchen und Frauen gleichberechtigt, selbstbestimmt und frei aufwachsen und leben können. 

Zudem hält das iranische Unrechtsregime auch Doppelstaatsbürgerinnen und -bürger gefangen. So berichtet Mina Ahadi, Aktivistin und Mitfrau von Terre des Femmes e.V., dass die deutsch-iranische Menschenrechtsverfechterin Nahid Taghavi eine der vielen Geiseln der islamischen Republik Iran sei. Die islamische Republik nutze ausländische Geiseln, um von den Regierungen entweder politische Deals oder einen Austausch mit terroristischen Gefangenen zu verlangen. 

CAZ: Inwiefern ist es wichtig, sich immer wieder generell über Frauenrechtsverletzungen zu informieren und auf einem aktuellen Stand zu sein bezüglich der Situation im Iran? Und was können wir als Studierende tun, um die Menschen im Iran zu unterstützen?

Stephanie Walter: Zeigen Sie sich solidarisch, protestieren Sie und verstärken Sie die Stimmen der Menschen im Iran. Die Internationale Aufmerksamkeit bietet den Mädchen, Frauen und Männern im Iran einen gewissen Schutz. Im November 2019 gelang es dem iranischen Regime fast vollständig, das Internet abzuschalten und diese Zeit zu nutzen, um mutmaßlich 1500 Demonstrierende zu töten. Internationale Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft und unsere Proteste zeigen Wirkung. Die erweiterten EU-Sanktionen und der Antrag von Deutschland und Island, erstmalig eine Sondersitzung zum Iran im UN-Menschenrechtsrat zu beantragen, zeugen davon, dass unsere Proteste wahrgenommen werden und auch politisch gehandelt wird.

Wenn du den Menschen im Iran dabei helfen willst, die Internetzensur im Land zu umgehen, kannst du die Browsererweiterung Snowflake nutzen. Informiere dich aber bitte vorher genau darüber.

Text und Interview: Eva-Sophie Roth

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