Die neue TU-Rektorin Ursula M. Staudinger hat am 18. August ihr Amt angetreten. CAZ-Reporter Marcel Tarbier hat mit der Psychologie-Professorin über ihre Pläne für die TU, ihre Zeit in New York und Kochen nach der Arbeit gesprochen.
CAZ: Sehr geehrte Frau Staudinger, die TU Dresden ist für Sie kein Neuland. Von 2003 bis 2007 waren Sie bereits Professorin hier. Welche Erinnerungen verknüpfen Sie mit dieser Zeit?
Ursula M. Staudinger: Es war eine sehr aufregende Zeit, meine erste Professur nach 13 Jahren Forschung in der Max-Planck-Gesellschaft, mein Schritt in die Unabhängigkeit. Ich hatte damals drei Rufe bekommen und mich bewusst für Dresden entschieden. In Dresden habe ich mein Lehrprogram aufgebaut und meine ersten Drittmittel eingeworben. Es war eine schöne Zeit.
CAZ: Sie kommen jetzt aus New York zu uns – obendrein von einer der besten Universitäten der Welt, der Columbia University. Was führt Sie zurück an die TU Dresden?
Ursula M. Staudinger: Ich wurde Ende 2019 vom Hochschulrat angesprochen, und je mehr ich mich mit der TU Dresden beschäftigte, umso faszinierter war ich. Die TUD hat in den 2000ern eine sehr positive und außergewöhnliche Entwicklung hingelegt. Interessant ist auch der Status als Volluniversität mit technischem Schwerpunkt, welche den Anspruch und die Möglichkeit hat, Interdisziplinarität zu realisieren. Interdisziplinarität ist mir seit jeher ein Herzensanliegen, denn die großen Herausforderungen unserer Zeit können nur fächerübergreifend erfolgreich angegangen werden. Die TUD hat enormes Potenzial.
CAZ: Werden Sie New York vermissen?
Ursula M. Staudinger: Ja, New York muss man vermissen! Große Städte haben einfach eine Faszination. Das Weggehen fiel uns letztlich etwas leichter, da sich New York ja im Corona-Lockdown befand. Wir konnten unsere Lieblingsplätze also ohnehin seit vielen Wochen nicht mehr besuchen.
CAZ: Was kann Dresden von Ihren vorherigen Stationen lernen?
Ursula M. Staudinger: In den letzten Jahrzehnten gab es einige Veränderungen im deutschen Hochschulsystem, z.B. die Exzellenzinitiative, die Einführung von Juniorprofessuren und die Umstellung auf Bachelor-Master-Studiengänge. Einige dieser Veränderungen sind Re-Importe aus dem angloamerikanischen Universitätssystem. Dabei wurde nicht alles ganz zu Ende gedacht. Ich hoffe, dass meine Erfahrungen aus den USA helfen, manches noch zu verbessern, z.B. durch eine Weiterentwicklung des Tenure-Track Systems. Die Erfahrungen lassen sich natürlich nicht eins zu eins übertragen. Es gibt hier unterschiedliche Traditionen, die wertvoll sind und die auch erhalten werden sollten.
CAZ: Sie haben bereits die Exzellenzinitiative angesprochen. Manche befürchten, dass ein einseitiger Fokus auf Forschung dazu führt, dass Lehre vernachlässigt wird. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Ursula M. Staudinger: Diese Kritik kann ich durchaus nachvollziehen, insbesondere mit Blick auf die ersten beiden Runden. Ich glaube aber auch, dass die Problemstellung erkannt wurde. Es gibt heute zusätzliche Mittel für die Qualität der Lehre, die z.B. über den Zukunftspakt an die Uni fließen. Klar ist außerdem, dass exzellente Forschung ohne hervorragende, moderne und innovative Lehre leerläuft. Die TUD hat den Anspruch, auch bei guter und innovativer Lehre ganz vorne dabei zu sein.
CAZ: Wo sehen Sie Potenziale in der Lehre an der TUD?
Ursula M. Staudinger: Zum Beispiel bei hybriden Lehr- und Lernformaten, beim projektorientierten Lernen und bei alternativen Prüfungsformen. Es gibt z.B. interessante Ansätze in Großbritannien, wo probiert wird, stärker modularisiert und projektorientiert verschiedene Fächer auf Problemlösungen zu beziehen. Das alles muss aber natürlich ein Prozess aus der Universität heraus sein. Dabei geht es sowohl um Lehre als auch um Bildung. Auf der einen Seite gibt es spezifische Fachkenntnisse. Andererseits wollen wir aber auch sicherstellen, dass alle Absolventen Grundkompetenzen jenseits des Fachlichen erwerben, z.B. in den Bereichen Nachhaltigkeit und Demokratiefähigkeit, oder die Fähigkeit, Statistiken zu lesen und zu interpretieren.
CAZ: Worum geht es eigentlich in Ihrer eigenen Forschung?
Ursula M. Staudinger: Ich erforsche die Entwicklung des Menschen über die Lebensspanne. Was mich umtreibt, ist, dass die menschliche Spezies dank der Evolution ausgesprochen anpassungsfähig oder plastisch ist. Dadurch haben wir beispielsweise in den letzten 100 bis 150 Jahren einen enormen Zuwachs an Lebenserwartung erzeugt. Ziel ist es, die gewonnenen Jahre für möglichst viele Menschen bestmöglich nutzbar machen. Das beinhaltet, Gesundheit zu erhalten, aber auch Menschen durch lebenslange Lernprozesse in die Lage zu versetzen, das eigene Wohlbefinden und die eigene Produktivität so lange wie möglich selbst gestalten zu können. Diese Art der Forschung funktioniert nur in interdisziplinärer Kooperation.
CAZ: Wie entspannen Sie sich selbst nach einem langen Tag im Büro?
Ursula M. Staudinger: Es ist mir wichtig, mich zu bewegen, egal ob auf dem Rad oder zu Fuß. Fitness, Kraft und Flexibilität sind wichtig, um Spannung abzuschütteln. Außerdem kochen mein Mann und ich sehr gerne.
CAZ: Gibt es noch etwas, das Sie den Studierenden gerne mitgeben würden?
Ursula M. Staudinger: Seit der Wahl hatte ich viele Gespräche mit Studierendenvertretern. Ich habe großen Respekt und bewundere die Studierenden, die sich in den Gremien der Universität an vielen verschiedenen Stellen einbringen, für ihre Professionalität und ihr Engagement. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit, darauf, dass wir gemeinsam die TU Dresden positiv weiterentwickeln – in allen Dimensionen.
Interview: Marcel Tarbier
Foto: Michael Kretzschmar
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