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Was macht eigentlich die Prorektorin für Unikultur? CAZ-Autor Marcel Tarbier hat mit Prof. Roswitha Böhm über ihre Arbeit, Ziele für die Campuskultur und die Zusammenarbeit mit Studierenden gesprochen und konnte der Romanistin auch den ein oder anderen Kulturtipp entlocken.

CAZ: Was genau verstehen Sie unter Universitätskultur?

Prof. Roswitha Böhm: Ich vertrete einen weiten Kulturbegriff, der nicht nur Artefakte wie Bücher oder Filme umfasst, sondern auch Lebensformen und Verhaltensweisen, Vorstellungen und Werte, Mentalitäten und Emotionen, Einstellungen und den Umgang miteinander. Konkret auf die TU Dresden und das Ressort der Universitätskultur bezogen heißt das, die TU Dresden zu einem exzellenten Vorbild einer sozial verantwortungsvollen, Gleichstellung, Diversität und Weltoffenheit umsetzenden, nachhaltig agierenden Institution zu entwickeln, die in die Gesellschaft hineinwirkt. 

CAZ: Wie genau werden die Studierenden in ihrem Alltag mit Ihrer Arbeit in Kontakt kommen?

Prof. Roswitha Böhm: Die Themen, die wir bearbeiten, sind ja durchaus für alle Studierenden relevant. Schon vor meiner Wahl zur Prorektorin Universitätskultur war ich z.B. mit den studentischen Senatorinnen und Senatoren in Kontakt. Über die Turnusgespräche und andere Formate sind wir weiterhin regelmäßig im Austausch. Und es war eine Studierendeninitiative, die an uns die Idee für ein Green Office herangetragen hat. Deren Konzept haben wir dann diskutiert und umgesetzt; das Green Office wurde in diesem Jahr eröffnet. 

Neben Nachhaltigkeit sind die großen Themen des Prorektorates Diversität und Inklusion, aber auch gesunde Universität, Campusleben und das Hineinwirken der TU Dresden als aktive Akteurin in die Zivilgesellschaft. Grundlage unserer Arbeit sind konkrete Konzepte, etwa das Gleichstellungskonzept, der Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention oder der Masterplan Campusgestaltung. Mit den Studierenden arbeiten wir also zum einen regelmäßig in den verschiedenen Gremien zusammen, zum anderen punktuell bei Veranstaltungen bzw. Veranstaltungsreihen wie dem Universitätsforum oder den TUD Lectures. Über alles, was im Ressort der Universitätskultur aktuell passiert, wird übrigens in unserem Online-Magazin „culTUre“, das man abonnieren kann, regelmäßig berichtet.

CAZ: Was genau meinen Sie, wenn Sie von Campusleben sprechen?

Prof. Roswitha Böhm: Der Bereich Campusleben umfasst eine Vielfalt an Themen. Da ist beispielsweise der Campus in seiner baulichen Struktur, der historisch gewachsen ist und einigen Verbesserungsbedarf aufweist, um zu einem Ort weiterentwickelt zu werden, an dem wir uns alle gern aufhalten. Hierfür wurde ein Masterplan zur Campusgestaltung erarbeitet. Wir möchten Begegnungsräume für alle Universitätsangehörigen schaffen. Ein gutes Beispiel sind die gerade entstehenden „getTUgether-Zones“, die die Infrastruktur für gemeinsame Aktivitäten wie Konzerte oder Ähnliches bieten. 

Außerdem fördern und vernetzen wir künstlerische Gruppen – die bühne, das Uniorchester, den Unichor, das Folkloretanzensemble, das Kino im Kasten und andere –, und wir bieten Unterstützung bei der Organisation von Events. Daneben ist uns die ökologische Nachhaltigkeit ein besonderes Anliegen, wenn es um unseren Campus geht. Wir schaffen derzeit Strukturen an der TU Dresden, mit denen wir das Thema in den kommenden Monaten und Jahren mit noch größerem Nachdruck angehen werden. 

CAZ: Provokant gefragt, gab es an der TU Dresden vorher keine Universitätskultur? Was ändert sich jetzt mit dem neuen Ressort?

Prof. Roswitha Böhm: Nein, davon auszugehen, wäre ja vermessen. Selbstverständlich gab es schon vorher vieles, das in den Bereich der Universitätskultur gehört. Es ist aber bemerkenswert, dass das Prorektorat Universitätskultur das erste derartige Ressort in ganz Deutschland war. Unser Ziel ist es, bestehende Ansätze für ein gelingendes Miteinander an unserer Universität zu systematisieren, zu bündeln und strategisch zu begleiten. Das berührt den „Dresden Spirit“, also die Idee, dass wir alle gemeinsam Verantwortung für unsere Universität übernehmen, was auch schon bei der Begehung im Zuge der Exzellenzinitiative positiv hervorgehoben wurde. Dass ein solches Prorektorat an der TU Dresden geschaffen wurde, unterstreicht die zunehmende Bedeutung der Dritten Mission von Universitäten, die neben Forschung, Lehre und Technologietransfer immer mehr auch gesellschaftliche Verantwortung tragen – in der universitätsintern gelebten Kultur unseres wertschätzenden Umgangs miteinander, aber auch in der Rolle, die wir als Hochschule gesellschaftlich einnehmen. 

CAZ: Sie haben Philologie und französische Kultur studiert und gelehrt. Hilft Ihnen dieses Fachwissen bei Ihrer neuen Aufgabe?

Prof. Roswitha Böhm: Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Natürlich hilft es, einen weiten Kulturbegriff zu haben, der nicht nur ‚Hochkultur‘, sondern auch Populärkultur und soziale Praxis integriert. Die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen, in meinem Fall mit den frankophonen Literaturen und Kulturen, z.B. auch des afrikanischen Kontinents, weitet den Blick und ändert die Perspektive. Es ist immer sinnvoll, die eigene Sicht und die eigenen Positionen kritisch zu hinterfragen. 

In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit einer französischen Autorin des späten 17. Jahrhunderts beschäftigt, mit Marie-Catherine d’Aulnoy. Sie gehörte zur damaligen Salonkultur, die durchaus in Opposition zur absolutistischen Herrschaft von Ludwig XIV. stand. Mme d’Aulnoy schrieb ‚feministische‘ Feenmärchen, die Genderrollen auf den Kopf stellen, etwa indem die weibliche Figur, die Prinzessin, den aktiven Part einnimmt und den Prinzen rettet und nicht umgekehrt. Diese Texte, so harmlos sie erst einmal daherkommen, hinterfragen also gesellschaftliche Setzungen. Momentan beschäftige ich mich eher mit literarischen Texten der unmittelbaren Gegenwart, z.B. über prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Das Nachdenken darüber ist durchaus relevant für meine jetzige Aufgabe.

CAZ: Ist die Stelle der Prorektorin Universitätskultur das, was Sie erwartet haben?

Prof. Roswitha Böhm: Inhaltlich und thematisch entspricht die Arbeit meinen Erwartungen. Ein bisschen unerwartet war es, wie schnell sich mein Kalender gefüllt hat. Zu meinem Aufgabenbereich gehören nämlich auch zahlreiche Funktionen in Gremien, Kuratorien und so weiter. Da erfolgt die eigentliche inhaltliche Arbeit dann zumeist zwischen oder nach einer Vielzahl an Terminen, und ich musste definitiv lernen, viel mehr zu delegieren. 

CAZ: Wie schalten Sie nach einem anstrengenden Uni-Tag ab? Was würden Sie den Studierenden kulturell dringend ans Herz legen?

Prof. Roswitha Böhm: Nach einem langen Tag brauche ich erst einmal Bewegung. Ich laufe, fahre Fahrrad, im Sommer gehe ich oft schwimmen. Da ich zur Zeit aus familiären Gründen nach Berlin pendele, habe ich leider nur manchmal Gelegenheit, die fantastischen kulturellen Angebote in Dresden wahrzunehmen. Ein Film, der mich in letzter Zeit stark beeindruckt hat, war „Die Unbeugsamen“ über die Kämpfe um Anerkennung und gegen Diskriminierung von Politikerinnen der Bonner Republik. Den würde ich unbedingt empfehlen, auch wenn er leider nur die westdeutsche Geschichte zeigt. Und wenn es die Pandemie wieder erlaubt, empfehle ich hier auf unserem Campus die Altana-Galerie. Da ist momentan eine sehr inspirierende Ausstellung von zwei Künstlern der Schaufler Residency zu sehen, die sich aus künstlerischer Sicht mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen und dafür völlig unterschiedliche Wege finden.

CAZ: Sachsen gilt ja als ein recht konservatives, manchmal gar reaktionäres Pflaster. Macht das Ihre Arbeit in Hinsicht auf die Universitätskultur an der TU Dresden schwieriger?

Prof. Roswitha Böhm: Vor allem macht es unsere Arbeit umso wichtiger. Als zivile Akteurin ist die TU Dresden zwar politisch neutral, aber sie ist der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet und will diese auch stärken. Ein Beitrag dazu sind zum Beispiel die TUD Lectures, die sich nicht nur nach innen richten, sondern auch an die Dresdener Gesellschaft. Dort gab es etwa einen Vortrag von Prof. Dalpke zum Thema „Impfen“, der mit 800 Zuhörenden auf breites Interesse gestoßen ist. Außerdem fördern wir das institutionelle Ehrenamt. An der TU Dresden gibt es bereits jetzt viele Engagierte, denen zukünftig zwei Arbeitstage im Jahr für gemeinsame ehrenamtliche Aktionen zur Verfügung gestellt werden sollen.

CAZ: Wenn Sie noch einmal um die 20 und Studentin wären, was würden Sie anders machen als damals? Gibt es etwas, das Sie heutigen Studierenden unbedingt empfehlen können?

Prof. Roswitha Böhm: Ich habe meine Studienzeit sehr genossen und war auch außerhalb der Universität engagiert, unter anderem beim Aufbau eines kommunalen Kinos in Berlin. Während meines Germanistik- und Romanistik-Studiums habe ich mich in den sehr großen Lehrveranstaltungen oft nicht geäußert, weil ich eher schüchtern war. Das musste ich erst lernen. Heute würde ich rückblickend häufiger kritisch nachfragen und mitdiskutieren. Außerdem hätte ich gerne noch mehr über den Tellerrand hinausgeschaut und auch Seminare in anderen Fächern wie Kunstgeschichte oder Philosophie besucht.

CAZ: Wollen Sie unseren Lesenden sonst noch etwas mit auf den Weg geben?

Prof. Roswitha Böhm: Ich will mich vor allem für das Interesse an unserem Prorektorat bedanken. Universitätskultur können wir nur gemeinsam gestalten. Dazu bedarf es der Offenheit und der gegenseitigen Wertschätzung. Ich kann die Studierenden nur ermuntern sich einzubringen, ihre Ideen und Standpunkte vorzubringen und hartnäckig zu sein. Sie sind die Zukunft!

Interview: Dr. Marcel Tarbier

Bildquellen

  • Foto Prof. Dr. Roswitha Böhm_Foto PR: Robert Lohse
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