Beim Abschnitt zu Wissenschaft und Forschung im neuen Koalitionsvertrag ist CAZ-Autor Marcel Tarbier ein bisschen sauer geworden. Er fragt sich, warum sich staatlich geförderte Forschung immer auf den Markt ausrichten muss. Seine Meinung: Ohne Grundlagenforschung keine Innovation.
Die Bundesampel kommt! Vieles war erwartbar, vieles bleibt vage. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter konnte ich nicht umhin, mir direkt den Abschnitt „Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung“ dieser selbsternannten Fortschrittskoalition anzugucken. Und wie andernorts auch fand ich leider eine sehr marktorientierte Handschrift: Der Fokus liegt auf Anwendung, Transfer, und Wettbewerb.
Dabei haben wir uns in den letzten Jahren bereits mit Volldampf in diese Richtung bewegt. Forschungsanträge müssen anwendungsbezogen sein, Patente nehmen zu, Ausgliederungen aus Universitäten gibt es viele. Jetzt sollen wir also noch anwendungsorientierter werden. Wer braucht schon Grundlagenforschung?!
Grundlagenforschung vs. Marktausrichtung
Marie Skłodowska Curie hat ganz sicher nicht die Energiegewinnung im Sinn gehabt, als sie radioaktive Strahlung erstmals beschrieb. Und auch die Tatsache, dass wir heute mRNA-Impfstoffe verwenden oder Menschen mit spinaler Muskelatrophie ein normales Leben ermöglichen können, basiert ganz wesentlich auf jahrzehntelanger Forschung an grundlegenden Mechanismen der Zell- und Molekularbiologie, ganz ohne Anwendungsbezug.
Warum muss sich staatlich geförderte Forschung immer auf den Markt ausrichten? Klar, der Steuerzahler will ja auch was für sein Geld bekommen. Aber muss das immer ein vermarktbares Produkt sein, das im Zweifel von einer großen Firma vertrieben und gewinnbringend angewendet wird? Vor allem gewinnbringend für die Anteilseigner, die größtenteils zu den oberen 10 oder 1 Prozent gehören.
Unis brauchen Forschungsfreiheit
Klar ist, dass Firmen selbst hauptsächlich anwendungsbezogen forschen, das ergibt viel Sinn. Aber wer macht dann in Zukunft die Grundlagenforschung, auf der Innovation beruht, wenn nicht staatliche Institutionen? Ohne Einblicke in RNA-Spleißen keine Therapie für spinale Muskelatrophie, und ohne Verständnis von RNA-Modifikationen kein mRNA-Impfstoff.
Universitäten brauchen Freiheit, an Dingen zu forschen, die nicht sofort eine klare Anwendung haben, sonst wird es die Technologien der Zukunft niemals geben. Der Geist der marktorientierten Forschung sucht uns bereits jetzt schon viel zu oft heim.
Kolumne: Dr. Marcel Tarbier
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